Recep Tayyip Erdogan: Der Diktator
- Robert Rienass
- 15. Juni 2017
- 3 Min. Lesezeit
Ein politischer Essay zum Putschversuch in der Türkei

Als ich in den frühen Morgenstunden des 16. Juli 2016 vom Putschversuch in Ankara hörte, erstarrte ich. Ein Putsch. Gescheitert. In der Türkei. Ein Putsch. Initiiert vom sogenannten „Friedensrat der Türkei“. Ein Putsch. Gescheitert an den Streitkräften Erdogans. Zufall oder Kalkül? Ich hatte keine Ahnung. Aber ich wollte es wissen.
“Es wurde ein Attentat auf unser Land verübt. Aber der Heiland Erdogan hat unser Land gerettet. Deshalb bin ich hier. Ich feiere.”
Ich packte meinen Laptop, einen Papier-Block, Stift und Wasserflasche in meinen Rucksack, ehe ich mich anzog und in die Innenstadt von Berlin fuhr. Zum Gesundbrunnen. Ich wollte zu den Türken. Den Deutschtürken. Mich am liebsten in ein Café setzen, die Leute auf der Straße beobachten. Die Stimmung aufnehmen. Die Reaktionen der Deutschtürken auf den Putschversuch einfangen.
Ich lief die Treppe zum Gesundbrunnencenter hoch. Überall Menschen. Alles überfüllt. Türkische Fahnen wehten durch mein Gesicht. Menschen feierten. Menschen schrien. Vor mir ein kleiner Mann. Etwa 1,70 Meter groß, braune Haare, langer schwarzer Bart. Ich sprach ihn an. Fragte ihn, weswegen er hier sei. Er schaute mich an. Ganz verdutzt. Hielt inne und sagte: “Es wurde ein Attentat auf unser Land verübt. Aber der Heiland Erdogan hat unser Land gerettet. Deshalb bin ich hier. Ich feiere.” Ein Satz der prägt. Noch heute.
Wer sind die Guten? Wer die Schlechten?
Schnell wurde mir klar, dass der Putschversuch in der Türkei mehr als nur ein Versuch war, eine Regierung zu stürzen. Mir wurde klar, dass es nicht nur ein gewaltsam erzwungener Machtwechsel sein sollte, sondern die Rettung oder eben die Zerstörung eines Landes. Doch wer sind die Guten? Wer die Schlechten? Mein türkisch-stämmiger Interviewpartner stellte diese Frage nicht. Ich schon. Auch heute noch.
Ein gutes Jahr nach dem Putschversuch herrscht in der Türkei noch immer der Ausnahmezustand. Von Normalität nicht viel zu sehen. Anwälte werden beschimpft und entmündigt. Lehrer entlassen. Journalisten verhaftet. Oppositionelle Politiker gar getötet. Alles wegen eines Putschs einer kleinen Gruppe. Vor einem Jahr. Eigentlich dürften keine Putschisten oder deren Anhänger mehr frei herumlaufen. Dafür ist die Zahl der Inhaftierten des vergangenen Jahres zu hoch. Keiner mehr da, der an Erdogans Stuhl rütteln kann. Trotzdem lässt der türkische Präsident weiterhin Leute verhaften. Wichtige Leute, die Einfluss auf Bildung, Sicherheit und Politik des Landes haben. Alles unter dem Vorwand des Putsches. Noch immer.
Wie lange möchte der türkische Staatspräsident dieses Spiel noch spielen? Wie viele vermeintliche Terroristen noch einsperren? Bis sein Volk nur noch aus Gefolgsleuten besteht, die im Gleichschritt marschieren und “Heil Erdogan” rufen? 50 136 Häftlinge sitzen seit dem Putsch bereits in einem türkischen Gefängnis, müssen mit drakonischen Strafen rechnen.

Bild der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen türkürkischen Soldaten und Zivilisten am 15. und 16. Juli 2016.
Erdogan wusste von dem Putsch
Erdogan wusste von dem Putsch. Bereits einige Wochen zuvor. Trotzdem ließ er den Kampf um Ankara zu. Ein kluger Schachzug. So hatte er lange genug Zeit, sich auf den Kampf vorzubereiten, seine Truppen zu formieren und die Putschisten in die Flucht zu schlagen. Erdogan steht im Nachhinein als das Opfer da. Und gleichzeitig als der Sieger. Er wirkt wie ein zum Tode verurteilte, der sich gerade noch aus der Schlinge befreien kann und schließlich selbst zum Henker wird.
Auch weil Erdogan selbst 24 Monate im Gefängnis saß. Wegen Volksverhetzung. Dann aufstand, sich politisch neu formierte und seinen Siegeszug durch das türkische Parlament bis an die Spitze des Landes startete. Klingelt es? Na klar. Der Hitler. Erdogan macht es ihm nach. Auf direktem Wege. Sukzessiv baut er seine Macht immer weiter aus. Der Putschversuch ist dabei das entscheidende Element. Er kam wie ein Segen. Genau wie bei Hitler.
Beschützer aller Türken
Direkt nach dem gescheiterten Putschversuch erklärt Erdogan diesen als Angriff auf das Land. Als Angriff auf alle Türken. Auch das: ein genialer Schachzug. Jetzt hat er freie Bahn. Kann machen was er will. Denn alle die gegen Erdogan sind, sind folglich auch gegen die Türkei. Gegen ihre Nachbarn, gegen ihre Freunde. Gegen ihre Familie. Sie sind Verräter. Vaterlandsverräter. Und die will keiner. Die werden verhaftet, gefoltert und zukünftig wohl sogar zum Tode verurteilt. Und das schlimme daran: es wird geduldet.
Erdogan steht als Retter der Nation da. Als Vater und Beschützer aller Türken. Als Idol, als Gott. Als einer, der über sein Volk wacht und es vor allem Unheil bewahrt. Das Unheil, das sind alle Menschen, die nicht seiner Politik vertrauen. Alle, die sich gegen ihn aussprechen. Alle die sich wehren. Gegen sein Präsidialsystem. Seine autokratische Politik und seinen Deismus. Zweifel daran, dass Erdogan Diktator ist? Ich habe sie nicht.
Text: Robert Rienass
Bilder: AFP und Keystone/EPA



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