top of page

Das Dorf der Unbeugsamen

Unterwegs im buntesten Viertel Kapstadts - Ein Reisebericht von Robert Rienass

ree

Das Bo-Kap ist einer der historisch bedeutendsten Orte Südafrikas. Das kleine Viertel im Nordwesten Kapstadts ist die Geburtsstädte der Kapmalaien und markiert den Ursprung der muslimischen Gemeinde in Südafrika. Aushängeschild des Bo-Kaps sind die grellbunt bemalten Häuser nordafrikanischer Architektur. Die Kombination aus spektakulärem Baustil und geschichtsträchtigem Hintergrund macht das Viertel zu einem der meist besuchten Orte des Kontinents. Wie das Bo-Kap entstand, welche Sehenswürdigkeiten es bietet und welchen Einfluss das Viertel auf die südafrikanische Kultur hat erfahrt ihr hier.



Muslimisches Leben


Montag. 14 Uhr. Der Himmel über Kapstadt ist grau. Es regnet und der Wind bläst nasskalte Luft durch die Straßen. Ich stehe leicht zitternd am Motherland Café an der St. Georges Mall, umhüllt von einer dicken Fleece-Jacke, langen Hosen, Wollsocken und Turnschuhen. In den Händen halte ich einen Becher heißen Cappuccino. Gemeinsam mit etwa fünfzehn Touristen warte ich auf die Reiseleitung der Free Walking Tour durch das Bo-Kap. Minuten vergehen bis eine ältere blonde Frau in Regenjacke und einem Bandana um den Kopf auf uns zuläuft, sich vorstellt und uns herzlich begrüßt. Ihr Name ist Marina, sie ist Journalistin und Reiseleiterin der kostenlos geführten Wanderungen durch Kapstadt. Eine aufgeweckte lebensfrohe Südafrikanerin, die mich mit ihrer Offenheit begeistert. Sie stellt sich auf den Sockel der vor uns liegenden Bishop Robert May Memorial Statue und teilt uns erste Informationen über den Ablauf der Tour und das Bo-Kap mit. Anschließend zählt sie die Anwesenden Teilnehmer. Dann beginnt die Führung.


ree

Wir laufen mit Marina über die geschäftige Wale Street, vorbei an der St. George’s Kathedrale und dem Department of Human Settlement zur Buitengracht Street. An der Kreuzung zur Dorp Street legen wir einen ersten Stopp ein. Hier steht die älteste Moschee Südafrikas, die Auwal. Ein grau-grünes Haus, erbaut im Stile arabisch-afrikanischer Architektur. Ein paar vergitterte Fenster mit braun gestrichenen Holzläden gestatten einen Blick ins Innere der Moschee. Auf ihrem Dach türmt ein Minarett. Vor dem Eingang stehen fünf große Palmen. Sie sind Ausdruck der fünf Säulen des Islams: dem Glaubensbekenntnis, dem Gebet, dem Fasten, der sozialen Pflichtabgabe und der Pilgerfahrt nach Mekka. Marina berichtet uns von der Erbauung des religiösen Gebäudes, das im Jahr 1794 entstand und betont, dass die Ausübung des muslimischen Glaubens zu dieser Zeit in Südafrika verboten war. Die offizielle Eröffnung der Moschee fand deshalb erst 1797 statt, nach der britischen Übernahme der Kapregion. Insgesamt stehen im Bo-Kap zehn Moscheen.


„Bis zur Industrialisierung war Kapstadt ein kleiner Ort, das Bo-Kap ein Viertel am Rande der Stadt.“

Wir laufen weiter entlang der Dorp Street Richtung Norden. Die Straße ist ruhig gelegen, es fahren kaum Autos an uns vorbei. Der Boden ist geteert, an den Seiten befinden sich kleine Bürgersteige. Wir sehen die ersten bunten Häuser. Eines erstrahlt in lila, schräg gegenüber steht ein froschgrünes Gebäude. An der Ecke zur Bryant Street halten wir erneut an. Street-Art-Künstler haben an der Fassade eines angrenzenden Hauses ein Bild zweier fußballspielender Kinder geschaffen. Die beiden Jungen, der eine dunkelhäutig, der andere weiß, lächeln sich an und machen die Geste eines Handshakes. Die Wandmalerei entstand im Zuge der Vorbereitungen zur Fifa-Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Das Bild ist ein künstlerisches Aushängeschild des multikulturellen Lebens in Südafrika. Marina führt uns tiefer ins Zentrum des Bo-Kaps, bergauf in Richtung Signal Hill. Am Ende der Dorp Street erstrahlt die volle architektonische Pracht des Viertels. Ein buntes Gebäude grenzt am nächstem. Jedes ist andersfarbig. Kleine steinerne Treppen führen zu den erhöhten Eingängen der Häuser. Ich fotografiere eine grau melierte Katze, die auf dem Geländer einer Veranda hockt. Marina erzählt uns von der Entstehung der Kapmalaien.


ree

Als die Niederländer die Kapregion eroberten und mit der Bebauung und Bewirtschaftung des Gebiets begannen fehlten ihnen Arbeitskräfte. Daraufhin verschifften sie Sklaven aus ihren asiatischen Kolonien nach Kapstadt. Viele der Sklaven kamen aus dem heutigen Malaysia. Die meisten unter ihnen waren Muslime. Das Bo-Kap wurde ihr neues Zuhause. Damals ein kleiner abgelegener Ort, am Rande der Stadt. Aus den Bewohnern dieser Region entstand über Generationen die Ethnie der Kapmalaien - der am Kap geborenen und lebenden Menschen mit asiatischem Migrationshintergrund. Die Kapmalaien sind damals wie heute eine Minderheit in Südafrika, haben jedoch einen großen kulturellen Einfluss und sind seit Abschaffung der Apartheid gleichberechtigt. Sehr geschätzt und beliebt ist beispielsweise die kapmalaiische Küche, eine Mixtur aus asiatischem und afrikanischem Essen.


Das Gallische Dorf


Unsere Tour führt weiter über die Pentz Street, eine der wenigen Kopfsteinpflaster-Straßen Kapstadts. Hier steht das Boorhaanol Centre, eine muslimisch geprägte Schule. Daneben liegt ein kleiner Platz, gesäumt von mehreren afrikanischen Laubbäumen. Marina berichtet uns an diesem Ort, dass das Bo-Kap heute kein reines kapmalaiisches Viertel mehr ist, sondern die Heimat verschiedener Ethnien. „Bis zur Industrialisierung war Kapstadt ein kleiner Ort, das Bo-Kap ein Viertel am Rande der Stadt“, sagt sie. Mit dem Fund erster Bodenschätze wuchs Kapstadt rasant und das Bo-Kap geriet mehr ins Zentrum der Metropole. Die Briten benötigten ebenso wie die Niederländer ein Jahrhundert zuvor neue Arbeitskräfte. Sie holten weitere Gastarbeiter aus ihren bereits bestehenden Kolonien nach Südafrika.


Das Apartheid-Regime wich aus Angst vor wirtschaftlichen und politischen Sanktionen anderer Länder von ihren Plänen der Vernichtung des Bo-Kaps ab.

So zogen die ersten Araber, Türken, Inder und Osteuropäer in die Kapregion. Eine wirkliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben blieb den Proletariern trotz Religionsfreiheit verwehrt. Die Kolonialherren drängten auch die neuen Gastarbeiter ins Bo-Kap. Sie durften ihr Zuhause lediglich zum Arbeiten verlassen. Nun wohnten Christen, Hindus und Muslime zusammen auf engstem Raum. Aus dieser Isolation heraus entstand die einzigartige Kultur des Bo-Kaps.

Nach zwischenzeitlicher Liberalisierung unterdrückte das Apartheid-Regime die Bürger des Viertels erneut. Die damalige Vormachtstellung der europäisch stämmigen weißen Südafrikaner bedeutete für alle anderen Ethnien des Landes erbarmungslose Vertreibung und Unterjochung. Die Bürger des Bo-Kaps leisteten der rassistischen Politik jedoch erbitterten Widerstand. Das Viertel wurde international bekannt und bekam im Zusammenhang mit seiner Größe von einem Quadratkilometer den Spitznamen Gallisches Dorf. Das Apartheid-Regime wich aus Angst vor wirtschaftlichen und politischen Sanktionen anderer Länder von ihren Plänen der Vernichtung des Bo-Kaps ab. So blieb das Viertel im Gegensatz zum einstigen multikulturellen Kapstädter District Six weiterhin bestehen.


ree

Marina erklärt uns, dass genau diese Widerstandsfähigkeit der Grund für die bunte Bemalung der Häuser sei. Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts strichen die Bürger des Bo-Kaps ihre Häuser mit grellen Farben. Vermutlich als Zeichen des Stolzes über den Ursprung und das Überleben ihrer Heimat trotz all der Repressalien in der Vergangenheit. Neben der durchaus plausiblen Erklärung ranken sich viele Mythen um die bunten Gebäude. Manche Bürger Südafrikas meinen, dass die farbenfrohe Bemalung lediglich dem Wiederfinden des eigenen Hauses diene. Gerade, wenn man betrunken sei. Einstimmigkeit herrscht nur bei der Namens-Bedeutung des Viertels. Bo-Kap stammt aus der Sprache Afrikaans und bedeutet ins Deutsche übersetzt Über dem Kap. Der Name beruht auf der Lage des Wohngebiets: am Hang des Signal Hill’s, über der Landzunge von Kapstadt.


Eine beliebte Filmkulisse


Zurück auf dem Weg der Wale Street laufen wir dem Iziko Bo-Kap Museum entgegen. Einem kleinen beigefarbenen Haus, in dem der Ursprung und die Geschichte des Bo-Kaps anhand von Info-Tafeln und Bildern detailliert erklärt wird. Marina empfiehlt uns einen Besuch des Museums und meint, dass der Erlös der Eintrittskarte in die Aufrechterhaltung des Bo-Kaps fliest. Ich markiere mir das Museum auf Google Maps und folge Marina und der Touristen-Gruppe zurück in Richtung Norden. Wir machen einen Schlenker in die Chiappini Street, die meist fotografierte Straße Kapstadts. Die Häuser in dieser Gegend erstrahlen nicht nur in bunter Farbe, sondern sind teilweise durch Street-Art an den Fassaden veredelt. Marina betont, dass dieser Ort eine beliebte Kulisse für Dreharbeiten internationaler Filmproduktionen ist. Ich erfahre, dass die Filmindustrie neben dem Tourismus die wichtigste Einnahmequelle Kapstadts ist.


Zum derzeitigen Zeitpunkt leben etwa sechstausend Menschen im Bo-Kap leben und fast neunzig Prozent von ihnen sind Nachfahren der ehemaligen Sklaven und Gastarbeiter.

Ich schaue mir die Straße in Ruhe an und entdecke eine weitere Moschee und einen französisch geprägten Kunstladen namens Art du Cap. Ich frage Marina nach dem Anteil des französischen Einflusses im Bo-Kap. Sie erwidert mir, dass zum derzeitigen Zeitpunkt etwa sechstausend Menschen im Bo-Kap leben und fast neunzig Prozent von ihnen Nachfahren der ehemaligen Sklaven und Gastarbeiter seien. Es gebe daher keinen direkten französischen Einfluss. Sie verweist in Bezug auf den Kunstladen auf die ständige Veränderung aufgrund von Zu- und Abzug im Bo-Kap.


Wir laufen die Chiappini Street hinunter Richtung Church Street, ehe wir über die Rose- zurück auf die Wale Street kommen. Wir besuchen das Harvest Café, laufen eine kleine Steintreppe im Inneren des Gebäudes hinauf und betreten das Dach. Ich genieße von hier aus den fantastischen Blick über das Bo-Kap und den Tafelberg. Vor mir liegt ein Meer aus bunten Häusern. Dahinter ragen Bergwipfel hervor. Ich schieße ein paar Fotos.


ree

Ein Blick in die Zukunft


Marina erklärt uns, dass das Bo-Kap heute ein begehrter Ort ist. Sie betont, dass sich nicht nur Touristen für das Viertel interessieren. Die Historie, die Architektur und die Lage am Hang des Signal Hill’s mit Blick auf den Tafelberg sowie die Nähe zum City Center sorgen für eine erhöhte Aufmerksamkeit auf dem Immobilienmarkt. Der Wert der Häuser im Bo-Kap steigt stetig. Viele Einheimische verkaufen ihre Unterkünfte aus Geldnot und ziehen in die günstigen Randgebiete der Stadt. Die verbliebenen Urbewohner des Bo-Kaps fürchten die Auflösung ihres Viertels, denn die neuen Bewohner bauen die historisch bedeutsamen Häuser nach ihren Vorstellungen um. Um ein sukzessives Verdrängen der einzigartigen Kultur des Bo-Kaps zu verhindern, haben seine Urbewohner bereits eine Anfrage an die südafrikanische Regierung gestellt, in der sie darum bitten, das Bo-Kap zum Heritage Kulturerbe erklären zu lassen.


Ich stelle fast, dass es heute nicht mehr Kolonialmächte oder Regime sind, die die Kultur und Existenz des Bo-Kaps bedrohen, sondern die freie Marktwirtschaft. Marina versichert uns, dass die Bewohner des Viertels trotzdem zuversichtlich in die Zukunft schauen. Schließlich tragen auch wir als Touristen mit unserem Besuch und unserer finanziellen Leistung zum Verbleib des Bo-Kaps bei. Und der Ernennung zum Heritage Kulturerbe sollte aufgrund der bedeutenden Historie des Viertels nichts im Wege stehen.


Zwei Mal täglich bieten südafrikanische Tourguides kostenlose Führungen durch das Bo-Kap an. Weitere Ziele der Free Walking Tours von Kapstadt sind das District Six mit seiner ganz besonderen Verbindung zur Apartheid-Geschichte und das historische Stadtzentrum. Die Guides sind sehr gut ausgebildet und informieren eindrucksvoll über die Sehenswürdigkeiten auf ihrer Tour. Sie finanzieren sich ausschließlich über die Tips ihrer Gäste.


Text: Robert Rienass

Bilder: Tripadvisor, skr.de, Robert Rienass

Kommentare


Dieser Beitrag kann nicht mehr kommentiert werden. Bitte den Website-Eigentümer für weitere Infos kontaktieren.
bottom of page