Finanz schlägt Sport
- Robert Rienass
- 27. Juli 2017
- 7 Min. Lesezeit
Wie das Geld den Fußball ruiniert - Eine Reportage von Robert Rienass

„Fußball ist unser Leben, der König, Fußball regiert die Welt”, sangen die Spieler der deutschen Nationalmannschaft zur WM 1974. Das ist über 40 Jahre her. Seitdem hat sich im Ballsport viel verändert. Fußball ist zu einem Geschäft geworden. Zu einem lukrativen Geschäft. Für Spieler, Manager und deren Berater. Das Spiel steht schon lange nicht mehr im Vordergrund. Das Geld regiert.
Fußball ist zu einem Geschäft geworden. Zu einem lukrativen Geschäft. Für Spieler, Manager und deren Berater.
Jüngstes Beispiel dafür liefert der bevorstehende Wechsel von Stürmer-Star Neymar zu Paris Saint Germain. 222 Millionen Euro soll der französische Klub für die Verpflichtung des Brasilianers ausgeben. Hinzu kommen Boni und ein Jahresgehalt von etwa 27 Millionen Euro. Ginge der Transfer über die Bühne, würde er alle bisherigen Rekorde brechen. Neymar wäre der mit Abstand teuerste Spieler aller Zeiten.
Der geplante Transfer sorgt seit Wochen für Unmut im Fußball. Spieler, Trainer, Sportdirektoren und Liga-Chefs weltweit melden sich zu Wort. Sie kritisieren den Wechsel und befürchten durch ihn eine endgültige Kommerzialisierung des Sports. Doch ist das nicht schon längst die Realität? Der Neymar-Transfer ist nur eines von vielen Beispielen, die belegen, dass die Spieler zu modernen Sklaven geworden sind und ihre Berater millionenschweren Menschenhandel betreiben? Ein Blick auf die Transferhistorie gibt Aufschluss.
Die Transferhistorie
Laut Informationen der Internetseite transfermarkt.de war Real Madrid in der Saison 2006/2007 mit Ausgaben in Höhe von 103 Millionen Euro der weltweite Spitzenreiter auf dem Transfermarkt. 2016/2017 war es Manchester City. Mit einer Summe von rund 213 Millionen Euro. Insgesamt gaben in der vergangenen Saison jeweils zwölf Vereine mehr als 100 Millionen Euro für neue Spieler aus. 2006 tat dies nur Real Madrid. Spitzenreiter in Deutschland war 2006/2007 Werder Bremen mit Transferausgaben in Höhe von rund 15 Millionen Euro. Die Bremer spielten in jener Saison um die Meisterschaft. Im Vergleich dazu gab Zweitligist und Wiederaufsteiger Stuttgart in der vergangenen Saison rund 4 Millionen Euro mehr für Transfers aus, als Bremen in der Spielzeit 2006/2007.
Das bislang meiste Geld für Neuzugänge in Deutschland legte der BVB in der abgelaufenen Saison auf den Tisch. 121 Millionen Euro zahlten die Dortmunder für neue Spieler. Auch die Zu- und Abgangsstatistik spricht eine deutliche Sprache. War der brasilianische Erstligist Cruzeiro Belo Horizonte 2006 mit 78 aufgenommenen und 57 abgegebenen Spielern der Verein mit den weltweit meisten Transfers, ist es zehn Jahre später Juventus Turin mit insgesamt 129 Zu- und 86 Abgängen. Die Statistiken belegen, dass die Zahl der Transfers steigt und die Ablösesummen immer größer werden.

Die Macht der Investoren
Trotz der hohen Schulden scheinen viele Klubs sehr liquide zu sein. Grund dafür sind finanzielle Zuschüsse und Spenden von einflussreichen Privatpersonen und Unternehmern, die sich im vergangenen Jahrzehnt in den Fußball eingekauft haben. Medienmogule, arabische Scheichs und neureiche Russen halten das Zepter des Fußballs in den Händen und prägen die Philosophie des Sports. Das Spiel ist für sie nur noch Mittel zum Zweck. Besonders brisant ist die Situation in England. Hier ist fast jeder Erstligist Eigentum einer großen Firma oder eines Milliardärs. Der wohl bekannteste Klub-Besitzer ist Roman Abramowitsch. 2003 kaufte er den FC Chelsea. Bisher soll er über 1,5 Milliarden Euro in den Verein investiert haben.
Die “Blues” holten in dieser Zeit viele große Spieler. Und gewannen insgesamt 16 Titel. Doch der Fall des FC Liverpool zeigt auch die Schattenseiten dieses Geschäfts. 2010 ging der Verein beinahe Konkurs, weil die damaligen Eigentümer Tom Hicks und George Gillett ihn in den wirtschaftlichen Ruin trieben. Einem Verkauf des FC Liverpool wollten sie dennoch nicht zustimmen, da ihnen die angebotene Summe von 300 Millionen Pfund zu niedrig war. Letztendlich zwang ein Gericht die beiden Investoren zur Abgabe des Klubs. Einen Tag bevor ein Insolvenzverfahren hätte eingeleitet werden müssen. Der Konkurs hätte nicht nur den wirtschaftlichen Verfall des Vereins bedeutet, sondern auch seinen sportlichen Niedergang. Und in letzter Konsequenz wohl die Auflösung eines der traditionsreichsten Klubs der Welt.
Laut Schmadtke würde eine Klub-Übernahme durch Investoren die sportliche Wettbewerbsfähigkeit der Bundesligavereine im internationalen Vergleich steigern.
In Deutschland ist der Verkauf eines Vereins aufgrund der 50-Plus-1-Regel nicht möglich. Noch nicht. Denn viele Interne, wie beispielsweise Kölns Geschäftsführer Jörg Schmadtke befürworten solche Deals. Laut Schmadtke würde eine Klub-Übernahme durch Investoren die sportliche Wettbewerbsfähigkeit der Bundesligavereine im internationalen Vergleich steigern. Doch eine Sache bedenkt Kölns CEO nicht: Die ohnehin schon große finanzielle Blase des Fußballs würde zusätzlich aufgebläht werden. Und das Platzen dieser Blase würde einem sportlichen und wirtschaftlichen Urknall gleichen. Doch davon wollen die Fädenzieher nichts wissen. Für sie zählt nur das Prestige.
Auch beim Neymar-Transfer spielt die finanzielle Macht der Investoren die entscheidende Rolle. Denn seit 2011 ist Paris Saint Germain in Besitz des katarischen Geschäftsmannes Nasser Al-Khelaifi. Er ist zugleich Chef des größten Medienkonzerns Katars und Präsident des landeseigenen Tennisverbands. Seine Firma “Qatar Sports Investments” soll Neymar das Geld für den Wechsel auszahlen, damit der Brasilianer sich selbst aus seinem Vertrag bei Barcelona herauskaufen kann. Damit vermeidet PSG Steuerabgaben und wird nicht als Käufer eingetragen. So möchte der französische Verein auch das Financial Fairplay der FIFA umgehen. Die spanische Liga möchte das Geld für den Transfer jedoch nicht akzeptieren, weil nicht der Verein, sondern die Firma des Klub-Investors die Ablösesumme für Neymar zahlt. Verhindern können die Spanier den Wechsel dennoch nicht.

Die modernen Menschenhändler
Neben den Investoren profitieren auch die Spielerberater vom finanziellen Geschäft mit dem Fußball. Sie fungieren als Vermittler auf dem Transfermarkt. Und verdienen damit Millionen. Sie führen Vertragsverhandlungen mit Vereinen, erzielen neue Angebote für ihre Spieler und bestimmen maßgeblich die Ablösesummen. Bei einer Vertragsverlängerung einer ihrer Spieler kassieren sie in der Regel 5-15 Prozent des Jahrebruttoverdienstes des jeweiligen Sportlers. Bei Transfers partizipieren sie zu gleichen Anteilen an Ablösesumme und Handgeld. Manche Agenten lassen sich weitere Prämien vertraglich zusichern, falls die Spieler mit ihren Klubs Titel gewinnen sollten. Das Gehalt zahlen ihnen aber nicht ihre Spieler. Sondern die Vereine, bei denen die Fußballprofis unter Vertrag stehen. Laut Spiegel-Informationen verdienten einige Agenten der Bundesliga in der Saison 2013/2014 erstmals über 100 Millionen Euro. Mittlerweile ist dieser Jahreslohn keine Seltenheit mehr.
Der bekannteste und zugleich wohl skrupelloseste Berater ist Mino Raiola. Er leitet unter anderem die Vertrags- und Transfergeschäfte von Mario Balotelli, Marco Verratti und Romelu Lukaku. Im vergangenen Jahr brachte er den bisher teuersten Wechsel der Transferhistorie über die Bühne, als er Paul Pogba für 105 Millionen Euro von Turin nach Manchester lotste. Von dieser Summe sollen rund 49 Millionen Euro direkt an Raiola geflossen sein. Er selbst sagt, ihm sei Geld nicht mehr so wichtig. Seine unkonventionelle Transferpolitik spricht jedoch eine andere Sprache. Zudem wohnt er im Steuerparadis Monaco.

Die millionenschweren Sklaven
Die Transfergeschäfte der Berater sind oft lukrative Spielchen für Sportler und Agenten. So auch im Falle von Zlatan Ibrahimovic. Mit den insgesamt 7 Vereinswechseln des Schweden erzielte Raiola eine Gesamtablösesumme von 160 Millionen Euro. Ibrahimovic steigerte sein Gehalt mit jedem Transfer. Und Raiola seine Provisionen. Doch die Machenschaften der Berater offenbaren auch die Abgründe des Fußballs. Denn mit der Aussicht auf noch mehr Geld drängen Berater wie Raiola ihre Spieler zu schnellen und häufigen Vereinswechseln. Das schadet nicht nur der sportlichen Entwicklung der Spieler. Sondern auch den betreffenden Vereinen. Das Geschäft der Berater ist maßgeblich für die Schnelllebigkeit und Unbeständigkeit im Fußball verantwortlich. Raiola selbst sagt dazu: „Wenn ich Balotelli transferiere, braucht Milan (Anm. d. R.: aktuell FC Liverpool) einen adäquaten Ersatz. Wenn ich ihn an einer Stelle bewege, bewegen sich 10 andere Positionen mit. Ein solcher Big Deal ruft eine Kettenreaktion hervor“.
Das Geschäft der Berater ist maßgeblich für die Schnelllebigkeit und Unbeständigkeit im Fußball verantwortlich.
Diese Tatsachen lassen keinen Zweifel daran, dass die Berater modernen Menschenhandel betreiben. Und das legal. Alles unter dem Deckmantel des Fußballs. Doch zu einem Deal gehören immer zwei Parteien. Die Eine sind die Berater. Die Andere die Spieler. Auch sie sind der Macht des Geldes verfallen. Und wirken wie millionenschwere Sklaven. Für die meisten Fußballer spielen Kultur und Tradition eines Vereins keine Rolle mehr. Die Zeiten, in denen ein Spieler aus Liebe zum Verein und seinen Fans nie den Klub wechselte, sind lange vorbei. Gerade die jungen Spieler interessieren sich meist nur noch für rasante sportliche Aufstiege und finanzielle Gewinne. Bestes Beispiel liefern in Deutschland Mats Hummels und Mario Götze, die beide unter hohen Ablösesummen und mit einer deutlichen Gehaltssteigerung vom BVB zum Erzrivalen nach München gingen. Legenden wie Philipp Lahm vom FC Bayern oder Francesco Totti vom AS Rom sind die wahrscheinlich letzten Ausnahmen. Sie sind die Hinterbliebenen einer aussterbenden Spezies. Sie sind die letzten Mohikaner.
Die Folgen der Finanzblase
Weder den Investoren, noch den Spielerberatern und Sportlern ist die Gefahr des Finanzgeschäftes „Fußball” bewusst. Kaum einer denkt an die Folgen, die das Aufblähen einer Wirtschaftsblase im Ballsport mit sich zieht. Im Gegenteil. Die Manager befeuern mit Unsummen den Wettlauf um die Spieler und erhöhen damit künstlich die Marktwerte der Sportler. Die Spielerberater machen sich dies zu Nutze und verkaufen die Fußballprofis für viel Geld an neue Vereine oder erzwingen höhere Gehälter. Folglich können sich die Klubs viele Spieler nicht mehr leisten oder sind gezwungen, tief in die Tasche zu greifen. Dies wiederum provoziert höhere Ticketpreise in den Stadien und begünstigt Pay-TV-Angebote. Der Fußballfan wird somit sukzessiv von seiner Teilnahme am Sport ausgeschlossen. Fankultur und Leidenschaft gehen verloren. In einigen Jahren könnte der Ballsport nur noch ein Treffen der Elitären seien.
In einigen Jahren könnte der Ballsport nur noch ein Treffen der Elitären seien.
Um das zu verhindern, müssen die Vereins-Verantwortlichen die Reißleine ziehen und dem irren Fußballgeschäft die Stirn bieten. Sie sollten neue Methoden entwickeln, mit denen sie Spieler kaufen und an den Verein binden können. Einige Positivbeispiele wie den SC Freiburg oder den FC Augsburg gibt es bereits. Beide Teams setzen fast ausschließlich auf Jugendarbeit, bilden Spieler aus und profitieren damit von den sportlichen Qualitäten der Fußballer. Dieses Modell wird wiederum von den hohen Ablösesummen, die andere Klubs für ihre Spieler zahlen, finanziert.
Anregungen dazu gibt auch der ehemalige St. Pauli-Trainer Ewald Lienen. „Wir müssen unbedingt aufpassen, dass wir die Menschen mitnehmen. Uns nicht abkoppeln”, sagte der Coach in einem Interview mit dem Reutlinger General-Anzeiger im Mai 2017. Laut Lienen sei der Fußball in den vergangenen Jahren gerade für jene Leute attraktiv geworden, die nur nach finanziellen Gewinnen und Prestige suchen und nichts mit dem Sport zu tun haben. Das schade dem Fußball langfristig. Recht hat er.
Text: Robert Rienass
Bilder: Antoine Dellenbach, transfermarkt.de, Franck Fife/AFP, Maxppp




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